The Cleaners
Den großen Internet-Konzernen, nicht immer zurecht als „social media“ bezeichnet, ist die permanente Flut von Mitteilungen über den Kopf gewachsen. Von Hass-Mails bis zu Pornografie, von Abbildungen des Kindermissbrauchs bis zu manipulierten, propagandistisch verwendeten Kriegsbildern – das Bedürfnis, dagegen vorzugehen, wächst, schon um das eigene Image nicht zu beschädigen. Doch wird die Erfüllung dieser Aufgaben in der Regel nicht von den Konzernen selbst vorgenommen: „Outsourcing“ ist die billigste Lösung, und auch die bequemste; für Fehler sind die von den Konzernen beauftragten Firmen verantwortlich. So kommt es, dass zum Beispiel in Manila unzählige, schlecht ausgebildete und bald traumatisierte „Moderatoren“ in langen Schichten vor ihren Bildschirmen sitzen und, nicht selten nach allzu schematischen und amerikanisch hinterlegten Kriterien, mit der Löschtaste gegen Müll im Internet vorgehen. THE CLEANERS dokumentiert vor allem deren Arbeit, verfolgt aber auch die Diskussion in den USA.
Die großen amerikanischen Konzerne, die sich als „Social Media“ verstehen, haben begriffen, dass ihre Angebote zur Kommunikation längst dem Missbrauch ausgesetzt sind. Pornografie und Kindermissbrauch, Krieg und Propaganda breiten sich aus, der Zugang zu den Plattformen ist leicht, mehr oder minder jeder kann dort publizieren, was er will. Neben ethischen Fragen stehen die „Social Medias“ auch vor dem Problem, dass die Brutalisierung und Verwahrlosung am Ende auch den eigenen Geschäften schaden könnte. Vermutlich ist es zu teuer und im Einzelfall schwerer zu verantworten, die „Löscharbeiten“ im Netz in Eigenregie durchzuführen. Die Aufgabe wird verlagert. Arbeitskräfte in Manila zum Beispiel sind billig und wie geschaffen für ihren Job. Eine Moderatorin, so nennen die kleinen Firmen ihre Netz-Kontrolleure, bekennt freimütig, sie sei dankbar für den Job, weil sie sonst möglicherweise als Müllsammlerin auf den Straßen von Manila unterwegs wäre. Dass sie immer noch Müll sammelt – der digitale könnte noch schwieriger zu bewältigen sein als der reale - ahnt sie vielleicht, eingestehen würde sie es nicht.
Die ständige Auseinandersetzung mit dem Grauen und den Unmenschlichkeiten im Netz hinterlässt ihre Spuren – mögen sich die „Moderatoren“ in Manila noch so unreflektiert an ihre zu einfältigen Vorgaben halten, denen auch Illma Gores satirisches Porträt Donald Trumps zum Opfer fällt. Sie beinhalten auch zahlenmäßigen Druck: rund 25.000 Kontrollen pro Schicht sind gewünscht. Für Diskussionen mit Kollegen oder Vorgesetzten bleibt keine Zeit. Am Rande berichtet ein Moderator vom Suizid eines Kollegen, den er selbst am Bildschirm verfolgt hatte und nicht eingreifen konnte. Die Firma hat diesen Selbstmord geheim gehalten, wie auch die Arbeitsbedingungen der "Moderatoren".
Die Autoren und Regisseure von THE CLEANERS machen sich's nicht leicht: sie lassen keine Zweifel aufkommen an der Notwendigkeit, gegen den Missbrauch der Freiheit im Netz vorzugehen; die strafrechtliche Relevanz könnte in einigen Ländern der Welt – der Film zeigt auch Diskussionen in den USA zwischen Politikern und Firmenvertretern – schon als Kriterium ausreichen. Aber damit ist es nicht getan. Aus Angst, ihre Portale könnten in der Türkei ganz geschlossen werden (wie es unabhängigen Zeitungen und TV-Stationen geschah), akzeptieren die Konzerne Einsprüche Erdogans und löschen, was ihm missfällt.
„Die sozialen Medien entwickeln sich in rasanter Geschwindigkeit zur digitalen Öffentlichkeit. Hier werden politische Konflikte ausgetragen, in Echtzeit Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, Kunst und Satire verbreitet und soziale Bewegungen organisiert. Wer also entscheidet darüber, was wir sehen oder nicht? Dieser Frage sind wir nachgegangen.“ Moritz Riesewieck). Die Tätigkeit der „Moderatoren“ findet letztlich im Geheimen statt, noch weniger von der Öffentlichkeit kontrolliert als das Netz. Der Film berichtet davon fast ausschließlich in Nachtaufnahmen. „Da geht es ja nicht nur um Schwanz- oder Brustbilder, sondern es geht in vielen Fällen auch um politische Inhalte, über die kontrovers diskutiert werden könnte. Zum Beispiel: Was ist gewaltverherrlichend? Was dient der Aufklärung? Was ist ein Regierungsgegner? Was ist ein Terrorist? Da müsste man eigentlich genauer hinschauen, und diese Transparenz ist nicht gegeben. Die sozialen Netzwerke machen es sich dadurch einfach, da sie (die Moderatoren) ja nicht bei denen angestellt sind. Wenn dort Fehler passieren, dann passieren sie einem anderen Unternehmen. Und sie passieren vor allem an einem Ort, der schwer zugänglich ist." (Riesewieck) So bleibt das Dilemma: Weder mit noch ohne Lösch-Aktionen ist das Problem zu lösen. THE CLEANERS maßt sich keine Lösung an. Aber die Filmemacher verweisen darauf mit einer Intensität wie bislang noch kein anderer Dokumentarfilm.